Das Gutshaus Wilknitt

Das Gutshaus vom Südosten
Das Gutshaus vom Südosten





Fuhr man die Reichsstraße 126 von Eichholz nach Mehlsack, lag das Gutshaus Wilknitt auf halbem Weg rechts. Der Bau war durch den Park verdeckt. Weit sichtbar ragte der rechteckige Turm aus dem Grün, dessen vier Dächer steil waren und in einem schmalen First endeten. Darauf saß ein Dachreiter. Er war rund, mit Metall beschlagen und mit einer langen Spitze bewehrt, die dem vorderen Teil einer hochgestellten Turnierlanze glich.


Der Turm des Gutshauses Wilknitt war eine neugotische Zutat aus dem Jahr 1904. In Ostpreußen wurden damals vielen Gutshäusern Türme angesetzt, weil es Mode war - runde, eckige, schmale, breite, schlanke, gedrungene. Der Wilknitter Turm fiel aus dem Rahmen, weil er eingedeckte Dachflächen besaß, die in ihren Proportionen denen des Hauptturmes der Marienburg nachempfunden waren, bis hin zur Turmspitze und dem Firstzierrat. Die südliche Wilknitter Dachfläche war dreieckig wie die nördliche und zeigte ein lateinisches Kreuz, das als Kleeblattkreuz aus hellen Dachpfannen eingelegt war und an das Wappenkreuz der Hochmeister des Deutschen Ordens erinnerte.


Das Gutshaus sah von fern wie eine Kirche aus. Die neun Gauben auf den Walmdächern zeigten sich als kleine Verwandte des Turms - die Dächer der Gauben liefen vorn in eine geschwungene Metallspitze aus, was optisch gut zum Turmbau paßte. Das Gutshaus lag auf einem Hügel, etwa vierhundert Meter von der Straße entfernt, die südlich von Wilknitt verlief.


Im Norden floß die Warnau, auch Warne genannt, nur einen guten Steinwurf vom Haus entfernt. Der Park grenzte im Südosten an.


Kam man die Allee entlang zum Gutshaus, zeigte es sich als einfacher Bau von eigenwilligem Reiz. Die Fundamente und Kellermauern, zumindest die des alten Flügels, waren aus Feldstein gefügt, das Mauerwerk darüber aus Backstein. Die Fassaden waren glatt verputzt, hell gestrichen und mit Spalierwein berankt, der im Winter niedergelegt und gegen Frost abgedeckt wurde. Wilknitt war eineinhalbstöckig in unsymmetrischer T-Form erbaut, wobei die Auffahrtseite nach Nordosten zeigte. Der Turm, in diese Vorderseite eingelassen, besaß zwei Stockwerke und an seiner Basis den Haupteingang. Zur Warnau hin war der Nordostflügel durch einen Anbau asymmetrisch verlängert worden, dessen Etagenfenster in einer höheren Ebene lagen, und deren große Kellerfenster aus der Reihe fielen.

Südseite am Park
Südseite am Park




 

Die Fundamente und das Kellergewölbe, die diesen Flügel trugen, waren alt. Sie stammten, das wird berichtet, aus der Ordenszeit.


Alte Wilknitter beschwören es: In dieser Backsteingruft stöhnte der Mann ohne Kopf und klirrte mit den Ketten. Das brachte den Hausgästen unruhige Nächte, besonders den Milchkontrolleuren, wenn sie im Vorzimmer dieses Gespenstes übernachteten, vor der alten Kellertreppe. Diese Milchkontrolleure sind, das ist überliefert, diesem Spuk tatsächlich und leibhaftig begegnet. Sonst ließ sich der Mann ohne Kopf nicht gern sehen und rumorte in seinem zugigen Gemäuer. Für ihn wurde viel gebetet, damit er Ruhe fand. Auch war das Gutshaus ein Haltepunkt für Geisterkutschen. Man hörte sie des Nachts heranrasseln und vor dem Eingang halten. Ging man an die Tür, um die Gäste zu begrüßen, rief nur der Uhu oder schillerten Katzenaugen aus den Hecken und Rabatten.


Der im Westen rechtwinklig an den Turm angrenzende Flügel des Gutshauses war zwei Fenster breiter als der an der Querfront. Die Terrasse an der Südseite war vom Saal erreichbar und ebenso lang wie dieser. Noch in den zwanziger Jahren glich sie einer grandiosen Vogelfalle, weil sie einen Wintergarten aus schmiedeisernen Gittern trug, die sich bis unter die Traufen wölbten. Man hat das Gestänge schließlich abgesägt und die Ankerstümpfe in den Mauern belassen. Insgesamt datierte die Hausanlage aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, wobei die diversen An- und Umbauten bis in den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts reichten.

Hofseite des Gutshauses, Winter 1941
Hofseite des Gutshauses, Winter 1941

Innere Details

Erdgeschoss
Erdgeschoss

 

 

 



Die Halle war größer als die Basis des Turms, die in ihr aufging. Ihr neugotisches Gewölbe überragte die Deckenhöhe der Räume/Flure in der Etage. Die tragende Säule aus Granit unten stand in der Mitte einer Fläche von etwa 12 x 12 Metern. Von dieser Säule führten vier geklinkerte Rippen zu den Raumecken und bildeten vier spitzbogige Gewölbesegmente. Unter diesen Rippen waren schmiedeiserne Ampeln an den Wänden angebracht; sie waren mit roter Seide drapiert. Die Wände waren weiß, die Deckensegmente mit weinrotem Rupfen bespannt, der Boden mit Fliesen (30 Zentimeter mal 30 Zentimeter) schwarzweiß ausgelegt.


Die Durchgänge zum Saal und zum Speisezimmer bildeten zwei deckenhohe Doppeltüren aus dunklem Holz. Das Hausportal hatte eine kurze Durchgangsdiele mit Innen- und Außentür, die außen mit eisernen Beschlägen verstärkt war.


Vom Eingang aus links, in der Mitte der Wand, stand der weiß verputzte massige Kamin, worauf oben (nicht näher definierte) Wappen angebracht waren. Rechts hinten setzte die Treppe an, die mit einem rotem Bouclé-Läufer belegt war, und verschwand in einem Linksbogen. Sie war weiß gestrichen, ihr Holz rundgedreht und geschnitzt. Trat man ein von außen, stand vorn links ein Wandtisch (frühes Rokoko) mit Silbertablett und Gästebuch, darüber ein kolorierter englischer Stich. Um den Kamin sah man vier große Sessel mit gepolsterten Rohrlehnen. Neben der Treppe, zum Speisezimmer hin, hatte die alte Standuhr ihren Platz. Gegenüber, jenseits des Kamins, standen der Gewehrschrank, die Sitztruhe mit Tisch und eine weitere beschlagene Truhe. An der Wand dort hingen Geweihe, Gehörne, Auerhahn und Saukopf. In der Halle hing die Erntekrone des vergangenen Jahres.


Der Saal wurde selten benutzt. Er hatte Parkett, die Wände waren ein Drittel hoch (ca. 1,20 Meter) mit weiß lackiertem Holz getäfelt. Auch die Decke war weiß und an den Seiten und um die Mitte mit Stuck verziert. Dort gab es einen Kristall-Lüster, an den Wänden Leuchten. An der Wand zum Grünen Salon befand sich der Kamin, seine Meißener Kacheln waren weiß und mit braunen ländlichen Motiven gebrannt; er besaß einen verschnörkelten Sims. Die Fenster zum Park, wie alle Fenster des Gebäudes, waren aus weiß lackiertem Holz. Erst zum Winter wurden überall die Doppelfenster eingesetzt. Zur Terrasse führte eine Doppeltür. Die Fenster zum Hof waren von innen verschalt und mit einem russischen, dreitürigen Messgewand-Schrank aus Eiche zugestellt, der sieben Meter breit war.


Die Decke hatte schlichten Stuck, an der Innenwand zum Speisezimmer standen der Bücherschrank sowie eine Boule-Kommode mit Marmorplatte und Messingbeschlägen, und hingen ein Louis-Seize-Spiegel und in ovalen Rahmen etliche (unidentifizierte) Porträts in Öl. An der Wand zur Halle und zum Damenzimmer standen zwei Empire-Sofas, vier Empire-Sessel und zwei Empire-Konsolen, dort lag ein kleiner Teppich.


Der Grüne Salon war das beste Gästezimmer. Der Fußboden bestand aus Parkett, und die Wände waren mit grüner Seide bespannt. Dort standen ein Schrank, eine grüne Sitzgarnitur aus Plüsch mit Tisch und Teppich, eine Kommode mit Spiegel und Waschgarnitur, ein Bett.


Das Speisezimmer war zwei Drittel hoch mit weiß lackiertem Holz getäfelt, darüber gab es weiße Sideboards, worauf Zinngefäße und anderes standen (vier Leuchter, vier Krüge mit Deckel, ein großer Krug, zwei kleine Krüge, eine große Terrine, zwei kleine Terrinen, eine Schale mit Färbergesellen, ein springender Pegasus aus Meißener Porzellan, zwei antike Kaffeekannen mit Stielen aus Messing, ein Samowar aus Kupfer, eine Kristallvase mit Silberrand, eine blaue Delfter Vase, zwei antike Öllampen). Von der Decke, die aus dunkler Eiche war, hing ein Kronleuchter aus Messing. Der Fußboden bestand aus Parkett, worauf ein Perserteppich (5,5 Meter x 9 Meter) lag. Darauf stand ein großer Mahagonitisch, um ihn herum dreizehn Rokoko-Stühle. An den Wänden hingen dreizehn antike Fayence-Teller, sechzehn antike mittlere Porzellanteller, und sieben kolorierte Königsberger Stiche.


Das Damenzimmer hatte einen Fußboden aus Dielenbrettern, die Wände waren mit silberfarbiger Seide bespannt. Die Vorhänge waren aus gelbem Stoff und mit pastellfarbener Seide gefüttert.


An den Wänden waren Leuchten angebracht, von der Decke hing eine Lampe mit Seidenschirm. In der Ecke zur Halle und zum Herrenzimmer war ein Meißener Porzellan-Kachelofen eingebaut. An der Ofenwand stand ein Schreibsekretär (frühes Rokoko) mit Stuhl, gegenüber dem Kachelofen ein Rokoko-Schrank mit Messingbeschlägen. Daneben, nach dem Fenster, stand eine Rokoko-Vitrine, und in den Ecken zur Terrasse und zum Saal je ein Empire- und Barock-Schränkchen. Die Coach mit Tisch, Rokoko-Kindertisch und Barock-Kindersessel stand etwas zur Mitte hin auf einem Perserteppich mit dem Rücken zur Wand des Herrenzimmers. Dort hing eine Landschaft in Öl des Malers Botho von Gamp. Auf einem kleinen Tisch neben dem Kachelofen stand ein Grammophon.


Das Herrenzimmer hatte Dielenbretter und eine weiße Decke mit Stuckrändern. Die Wände waren mit grünem Rupfen bespannt, auch die Vorhänge an den Fensters waren grün. Der Kachelofen ging an den Wänden zur Halle und zum Damenzimmer über Eck, er war mit grünen Kacheln gemauert, er besaß eine umlaufende Eckback aus dunklem Holz, worauf lose grüne Lederkissen lagen. An der freien Wand zum Damenzimmer stand der Bücherschrank. Der Schreibtisch war verhältnismäßig breit und füllte die Schmalseite des Zimmers zur Außenwand, so daß der rote Schreibsessel, der zur Wand stand, schwer zu erreichen war. In der Mitte stand auf dem Perserteppich ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln, einer davon ein roter Clubsessel. An den Wänden verteilt standen ein Schaukelstuhl (Windsor-Chippendale), zwei Lehnstühle (Windsor-Chippendale) und fünf Eichenstühle (Bauernbarock).


Der Flur unten hatte Steinfliesen in schwarzweißem Schachbrettmuster, die Flure in der Etage hatten Bretterdielen.


Die Küche war in weißen und blauen Fliesen gehalten. Der Herd ebenso, er hatte rundum eine Messing-Armierung und die üblichen Eisenringe um die Feuerstellen. An der Wand zur Speisekammer gab es einen handbedienten Speisenaufzug in die Etage, der dort vom Flur aus erreichbar war.

Obergeschoss
Obergeschoss




Die Zimmer in der Etage waren durchweg schlichter in der Bauweise und Ausstattung. Die obere Halle lag höher, deshalb führten Stufen in die umgebenden Räume. Im Damen-Schlafzimmer stand das in polierter Birke ausgeführte Schlafzimmer, bestehend aus einem Bett, einem Nachttisch, einem Toilettentisch mit dreiteiligem Spiegel, einem dreiteiligen Kleiderschrank, einer Waschkommode, einem eingelegten Tisch und einem Diwan.
__________________________________


Anmerkung: Viele Erinnerungen sind Arthur Kuhnke (3.2.1922 bis 26.9.2008) aus Wilknitt zu danken, besonders die Schilderungen der Räume und des Inventars. Herr Wulf D. Wagner aus Berlin hat wichtige Einzelheiten zur Geschichte Wilknitts und zur Bauweise des Gutshauses recherchiert und in seinem Buch 'Gutshäuser im Kreis Heiligenbeil' veröffentlicht, wofür ihm zu danken ist.

Die Hofseite, der Maler des Aquarells ist nicht bekannt
Die Hofseite, der Maler des Aquarells ist nicht bekannt